Gut Gerkenhof: Nulleinspeisung mit PV und Gewerbspeicher

Martin Jendrischik
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Im alten Stil modern bewirtschaftet: Gut Gerkenhof bewirtschaftet eine weithin bekannte Rinder und insbesondere Pferdezucht. Das Besondere: Der Gutshof wird im Stil des 18. Jahrhunderts gehalten. Die alten Fassaden der Gebäude werden beibehalten, Kopfsteinpflaster darf natürlich auch nicht fehlen. Dabei ist das, was sich ansonsten auf Gut Gerkenhof abspielt, hochmodern: Insbesondere die Pferdezucht ist weithin als einer der besten in Deutschland bekannt. Doch bislang fehlte noch ein Schritt in die Modernität: Jetzt versorgt sich der Hof auch energetisch komplett selbst.

Laudeley Betriebstechnik aus Ritterhude bei Bremen hat ein womöglich einzigartiges Konzept zur Stromversorgung des großen Gutshofes umgesetzt: „Es ist das erste Mal, dass wir ein Nulleinspeisungs-Konzept realisiert haben“,
erklärt Holger Laudeley und begründet die Realisierung der Idee mit den hohen Netzanschlusskosten zwischen 180.000 und 220.000 Euro, die ansonsten für Anschaffung und Betrieb eines Mittelspannungstrafos angefallen wären.

„Der gesamte Betrieb hätte damit die Mittelspannungsrichtlinie einhalten müssen – alle weiteren Anlagenbauten wären erschwert worden“, so Laudeley. 

„Deshalb haben wir uns gemeinsam mit dem Gutshofbesitzer entschlossen, den bestehenden Hausanschluss mit einer Kabelvervierfachung zu verstärken.“ Diese Arbeiten waren ohne Änderung an fremden Grundstücken möglich – trotz der Entfernung von 1,2 Kilometern zum nächsten Netzanschlusspunkt.

Photovoltaik: 250.000 Kilowattstunden

Seit dem Umbau im Frühjahr 2019 hat der Hof Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 174 Kilowattpeak, um den massiven Energieverbrauch von 250.000 Kilowattstunden abdecken zu können.

Dabei wurde auch eine Altanlage aus dem Jahr 2014 mit 30 Kilowattpeak in das Konzept mit einbezogen und eine Windkraftanlage mit 30 Kilowatt geplant. Diese soll künftig rund 64.000 Kilowattstunden zur Energieerzeugung des Areals beitragen. „Sobald die Überschusseinspeisung droht, weil die Häuser versorgt und die Speicher voll sind, werden die Erzeugungsanlagen abgeregelt“, sagt Laudeley. 

Somit findet keine Direktvermarktung von elektrischem Strom statt – denn das hätte das Anschließen einer Fernwirkanlage für 6.000 bis 10.000 Euro vorausgesetzt. Einnahmeseitig wären aber lediglich rund 30.000 Kilowattstunden für 8 Cent Börsenpreis plus Direktvermarktung möglich gewesen. 

„Das macht bei 30.000 Kilowattstunden ca. 2400 Euro pro Jahr“, so Laudeley. Die Altanlage allerdings speist ca. 15.000 Kilowattstunden zu 12,60 Cent je Kilowattstunde ins Netz ein. Die restliche Erzeugung der Altanlage, ca. 12.000 Kilowattstunden, ist für den Eigenverbrauch vorgesehen. Auch der Strom der zukünftigen Windkraftanlage wird nur für den Eigenverbrauch genutzt, ansonsten wird auch dieser Strom abgeregelt. 

„Daraus ergibt sich ganz klar, dass die Investition in einen Mittelspannungs-Trafo für ca. 250.000 Euro überhaupt keinen Sinn ergeben hätte.  Stattdessen war die Investition in eine Verstärkung des alten Hausanschlusses genau die richtige Entscheidung. Die hat mit vergleichsweise günstigen 67.000 Euro zu Buche geschlagen“, so Laudeley. 

Dieser vorhandene Netzanschluss wird nun ausschließlich für einen minimalen Netzbezug von 10.000 bis 20.000 Kilowattstunden in den Wintermonaten gebraucht. „So kommen wir mit genügend Strom durch den Winter.“ In Zukunft soll auch noch die Windkraftanlage mit 30 Kilowattpeak dazukommen – denn der Strombedarf wird in den kommenden Jahren weiter steigen. 

„Angesichts des weitläufigen Geländes, lassen sich viele Wege nicht zu Fuß bewerkstelligen. Daher werden alle Fahrzeuge des Gutshofs schrittweise elektrifiziert – beispielsweise mehrere Traktoren und Fahrzeuge für Pferde- und Rindertransporte sowie für die Bewirtschaftung der Äcker“, so Laudeley.

Gewerbestromspeicher sichern Energie 24/7

Um rund um die Uhr genügend elektrische Energie zur Verfügung zu haben, integrierte Laudeley zwei Speichersysteme namens Quattroporte Linea 3-XXL mit jeweils 78 Kilowattstunden. Der dreiphasig angeschlossene Gewerbestromspeicher stammt vom Osnabrücker Anbieter E3/DC. 

Dieser lieferte für das Projekt auch insgesamt zehn externe Wechselrichter. Selbst ohne Solarenergie von den Dächern ist damit eine Ausgangsleistung von 36 Kilowatt (Dauerlast 27 kW) möglich. Außerdem wird über eine Notstromfunktion nachgedacht, die dann greift, sollten Spannung und Frequenz aus dem Netz nicht vorhanden sein. Auch denkt der Gutshofbesitzer darüber nach, den bestehenden Gewerbespeicher einerseits und die Photovoltaikanlage andererseits zu erweitern, um für zukünftige Aufgaben auf dem Gutshof gerüstet zu sein.

Erzeugung über AC-Seite angeschlossen

Alle Erzeugungsanlagen (144 Kilowattpeak PV
neu, 30 kWp PV alt und künftig 30 kWp Wind) sowie das Speichersystem sind über die AC-Seite am Netzanschlusspunkt angeschlossen.

Dieser schafft eine Leistung von lediglich 80 Kilowatt. Um sicherzustellen, dass keine Einspeisung stattfindet, wird er über einen Messwandler von E3/DC sekündlich überwacht. 

Gleiches gilt für alle zehn Wechselrichter. Ein Abgrenzungszähler zu den Photovoltaikanlagen im System mit E3/DC-Leistungsmessern sorgt dafür, dass Windkraft- und Photovoltaikerzeugung abrechnungstechnisch voneinander getrennt werden können.

Für den absoluten Notfall, bei Ausfall aller relevanten Systeme zur Abregelung, muss die Ein-
speisung verhindert werden, da sonst die Sicherungen des Hausanschlusses den gesamten Gutshof lahmlegen. Dazu wird ein redundantes System aus einem Rasperry Pi-Rechner mit Relaisplatine und Anbindung über IP–Symcon an die Stromzähler von Discovergy verwendet.

Durch Auswerten der Einspeisedaten, kann hier zuverlässig über den zentralen Netz- und Anlagenschutz die Erzeugungseinrichtung abgeschaltet werden. Sollten die Verhältnisse es zulassen, wird wieder zugeschaltet. Die Gesamtanlage verfügt über einen Zweirichtungszähler, so dass die Nulleinspeisung nachgewiesen werden kann, aber bei Bedarf Strombezug aus dem Netz möglich wird.

Heizen mit eigenem Holz aus dem Wald

Geheizt wird mit eigenem Holz des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes – nach Verbrauch wird sofort nachgepflanzt. Zum Gut Gerkenhof gehören rund 200 Hektar Waldgebiet. Genau das ist der Anspruch der Eigentümer: Sie wollen sich möglichst autark selbst versorgen. 

„Natürlich ist es für den örtlichen Energieversorger bitter, einen solchen Kunden fast komplett zu verlieren“, sagt Laudeley. „Für die Allgemeinheit geht eine signifikante Beteiligung an den Kosten der Energiewende verloren.

Aber: Dafür hält Gut Gerkenhof die Netze frei und macht es wahrscheinlicher, dass Windstrom hier aus der Küstenregion auch wirklich abtransportiert werden kann. Daher ist das Projekt auch für die Energiewende sinnhaft.“

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